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Der Karnergeist

Kommt vor vielen Jahren ein Handwerksbursch ins Karnerwirtshaus. Speis und Trank bestellt er bei der Wirtin, fragt nach Weg und Arbeit. Ein wunderliches Fläschchen holt er aus seinem Ränzel, betrachtet es zärtlich, verwahrt es wieder sorgsam. Neugierig fragt die Wirtin, was in dem Fläschchen sei. Antwortet der Geselle: „Mein, Schutzgeist! Muß ihn wohl bewahren. Nur Unglück würd‘ er Fremden bringen!„. Die Wirtin füllt den leeren Becher, spricht von diesem und von jenem. Emsig zecht der Handwerksbursche, bis er müde sucht sein Lager. Weiter wandert nächsten Morgen der Handwerksbursch mit seinem Ränzel. Doch in der Herberg bleibt das Fläschchen. Neugierde plagt die Frauen: „Unglück bringen sollt ein Schutzgeist? Nicht glauben kann ich das. Es gilt die Probe aufs Exempel!“ Also spricht die Wirtin, holt das Fläschchen aus der Truhe, betrachtet es zärtlich, verwahrt es wieder sorgsam, erzählt davon dem Gatten, als er von einer Reise heimkehrt. „Entledige dich nur bald des Fläschens, Unglück können wir nicht brauchen!“ entgegnet zürnend gleich der Karnerwirt. Doch wohin auch das Fläschchen gebracht wurde, immer fand es sich wieder in der Truhe vor. Die Wirtschaft kam zusehends in die Höhe, vorteilhafte Geschäfte brachten reichlichen Gewinn. Die Wirtsleute glaubten nun langsam an den schützenden Geist. Aber auch die Nachbarn munkelten schon davon.

Und als in geraumer Zeit der Karnerwirt seinem Sohne die Wirtschaft übergab, führte er ihn auch zu der Truhe, holte das Fläschchen hervor und sprach: „In diesem Fläschchen befindet sich der Karnergeist. Solange er drinnen bleibt, wird es dir und deinen Nachkommen wohlergehen. Lasst ihn ja nicht heraus!„Nach einigen Jahren plagte den jungen Karnerwirt der Übermut, er öffnete das Fläschchen, bemerkte aber nichts besonderes und konnte sich das geheimnisvolle Wesen seines Vaters bei der Übergabe nicht erklären. Bald ging es aber nicht mehr mit rechten Dingen zu. Auf dem Dachboden hörte man nachts ein Poltern und Rumoren. Genaue Untersuchungen konnten keine Erklärungen bringen. Kinderwagen kamen die Bodenstiege herab. Im Wirtschaftshofe begannen die Wagen von selbst zu fahren. Es geisterte! Brachten die Wirtsleute den Gästen das Essen, so war es durch Sägespäne oder Asche verdorben. Nahmen die heimkehrenden Gäste ihre Hüte oder Überröcke vom Kleiderrechen, so waren sie arg beschädigt. Hatte der Schuster auf der Stör abends seine Arbeiten beendet, so waren am nächsten Morgen Schuhe und Stiefel zerschnitten. Die Schlüssel passten niemals zu den Schlössern. Ging man nachts beim Kalkofen vorbei, so zeigte sich eine Hand mit einer Laterne; diese Erscheinung hörte erst bei der alten Säge auf. Eine gründliche Hausdurchsuchung ergab einen Fund von Menschenknochen unter dem großen Türstock. Mit der Wirtschaft ging es langsam bergab, verlustreiche Geschäfte waren an der Tagesordnung. Der alte Karnerwirt wurde aufs Krankenbett geworfen. Und als er sich einmal sehr schwach fühlte, trug er gegen Mitternacht seinem Sohne auf, die Rappen vor den Wagen zu spannen und den Arzt zu holen. Rasch fuhr der Wirtssohn entlang der Myrafälle nach Muggendorf, kam vom Wege und stürzte mit Ross und Wagen in die Tiefe. Im selben Augenblick ging ein gar gewaltiges Getöse durchs Karnerhaus, Der alte Karnerwirt war gestorben. Sein Sohn kam mit dem bloßen Schrecken davon, Wagen samt Bespannung waren zerschlagen. Seit dieser Stunde hatte der Spuk ein Ende.